Damit könnte ich doch bei Chefkoch punkten. Immerhin ist das von Gruner + Jahr betriebene Webportal nicht nur zum Thema Kochen & Backen eine der reichweitenstärksten Websites in Deutschland. Und die Gyrossuppe ist dort eine der beliebtesten „Partysuppen“ – Millionen von Fans können nicht irren!
Immer wenn ich bisher etwas über Flanksteak, Onglet oder Flat Iron Steak schrieb, ging meine Besucherstatisik in einen raketenhaften Aufschwung. Das ist nun schon einige Jahre her, aber zu der Zeit entwickelte sich die Grill- und BBQ-Szene gerade mit Macht und bislang unbekannte Fleisch-Cuts waren gefragt wie nie zuvor. Mein Artikel „Flank Steak aus der Pfanne“ ist bis heute der meistgelesene auf dieser Seite. Nicht wegen der Pfanne.
Mit der Gyrossuppe könnte das ähnlich laufen.
Gyros kommt aus Griechenland und ist, salopp ausgedrückt, das Gleiche wie Döner – nur mit Schweinefleisch. Typisches Streetfood. Zu Beginn der 80er Jahre war es zumeist noch in der Urform, also auf Teigfladen (Pita), mit Tomaten, Zwiebeln, Tzatziki und manchmal auch Krautsalat anzutreffen. Allerdings eher in griechischen Restaurants oder eben bei den vereinzelten griechischen Imbissbuden. Weil Gyros, für damalige Verhältnisse und deutsche Gaumen ungewohnt und kräftig gewürzt war, folgte es im Fahrwasser der Verbreitung des türkischen Döner Kebab – mit dem Unterschied, dass man sich nun anschickte es auch zuhause in der Pfanne zuzubereiten. Kurze Zeit später gab es kaum eine Fleischtheke, die kein fertig mariniertes und gewürztes Gyrosfleisch feil bot.
Ab da wird die Entwicklung verworren, aber ich will es mal versuchen: Vermutlich warfen die HobbyköchInnen einfach zu viel auf einmal in die Pfanne, so dass die Temperatur stark abfiel und das Fleisch eher im eigenen Saft kochte, als die gewünschte braune Kruste wie vom Drehspieß-Grill zu entwickeln. Wir wären nicht die Nation der Tüftler und Erfinder, hätten wir nicht aus der Not eine Tugend gemacht. Das Ergebnis hatte mit knusprigem Gyros (außer der Würze) zwar nichts mehr gemein, doch dafür war die Urform der Gyrossuppe geboren!
Der Grundstein war gelegt, dann begann die Evolution. Wir Deutsche sind bekanntlich Meister im Verfeinern, was heutzutage auch gerne „pimpen“ genannt wird, ein Anglizismus, der für „aufmotzen“ steht (im Sinne von aufgemotztem Kleinwagen mit Breitreifen, mehreren armdicken Auspuffrohren und einer „Feder“ung, die einem die Bandscheiben der Lendenwirbelsäule bis zum Haaransatz im Genick spüren lässt). Paprika, Maiskörner, Sahne (ja, Sahne – man will ja verfeinern) und eine Menge Zwiebeln kamen dazu. Und manchmal auch „Schmelzkäse“.
Im Kochwiki wird ein Rezept (ohne „Schmelzkäse“) feil geboten, welches genialerweise 3 Tage dauert, aber dafür minimalsten Aufwand garantiert. Anstelle von oft tränenreichem und mühsamem Zwiebelschneiden greift man dort zu einer Konserve „Französischer Zwiebelsuppe“ und pimpt die (verfeinern, ey!) mit „1 Pk fertiges Zwiebelsuppepulver aus dem Handel“. Da kommt „Zigeunersauce aus dem Handel“ (die kürzlich ihre Bezeichnung geändert hat und nun „Paprikasauce Balkan-Art“ oder so ähnlich heißt) dazu, und weils noch nicht suppig genug ist, wird auch noch Chilisauce empfohlen. Reine Arbeitszeit zum „Kochen“ dieser abenteuerlichen Mischung: höchstens 20 Minuten. Warum also 3 Tage? Nun – das muss natürlich in den verschiedenen Stadien seiner Entstehung gut durchziehen. Und da fast jeder weiß, dass ein guter Eintopf oder eine gute Suppe am nächsten Tag noch besser schmeckt, packt man halt noch eine Nacht drauf. Hallelujah!
Die Corona-Pandemie hat, das kann man nicht ignorieren, unsere Gesellschaft gespalten. Es gibt „die da oben“ und „wir da unten“ oder „die Geimpften“ und die „Ungeimpften“. Die Liste ließe sich fortsetzen, aber der Schlusspunkt bleibt: „die Gyrossuppenfans“ und „die Gourmets“.
Bei Gourmet muss ich allerdings an die periodisch, immer passend zur Festzeit in den Lidl-Regalen feilgebotenen Lebensmittel mit ebendieser Marke „Lidl Gourmet“ denken. Will der Discounter damit sagen, dass die Gyrossuppenfans gerne Gourmets wären? Oder ist das nur Gleichmacherei? Hat jemand unter meinen LeserInnen schon einmal etwas aus der Lidl-Gourmet Linie probiert? Ich schon! Man sollte sich ja erst dann ein Urteil erlauben, wenn man wirklich mitreden kann. Diese „Gourmet-Produkte“ haben nichts, aber auch gar nichts mit Gyrossuppe zu tun – sie schmecken einfach fad und nach nichts und sind im Vergleich zu anderen Produkten aus demselben Laden, aber ohne „Gourmet“ – Aufdruck … nun ja, identisch. Aber es spült Geld in die Lidl-Kassen (man kann Lidl auch gerne durch Aldi oder Penny oder Netto ersetzen – das nimmt sich nichts) und die Gyrossuppenfans dürfen sich zur Weihnachtszeit ein bisschen wie Gourmets fühlen. Ist doch ein fairer Deal.
Wenn man den Trend verfolgt, dann sehen wir wieder einmal einem staatlich verordneten sehr geruhsamen Weihnachtsfest und Jahreswechsel entgegen. Einem Weihnachtsfest mit Kontaktbeschränkungen und einer Neujahrsnacht ohne Party, ohne Böller und Kracher und die Spaltung wird wieder überdeutlich. Es gibt die, die das begrüßen und die, die dagegen aufbegehren und auf ihr Freiheitsrecht pochen. Doch so schwarz und weiß gespalten ist es nicht. Der Spalt in unserer Gesellschaft ist zerklüftet wie der Grand Canyon und birgt Facetten aller Art. Ich möchte den Blick auf die Facetten und Spalten richten, die so gar nichts mit Weihnacht und Party und Feuerwerk zu tun haben. Auf die, die an den Feiertagen als ÄrztInnen und PflegerInnen auf den überfüllten Intensivstationen um das Leben ihrer Patienten kämpfen. Auf die ZustellerInnen, die abends um halb sieben die Weihnachtspäckchen mit einem Lächeln auf dem Gesicht übergeben, obwohl sie mies bezahlt werden und seit 12 Stunden „auf Arbeit“ sind. Auf die, die im Schneesturm nach draußen gehen – nicht um Böller zu schmeißen, sondern um das Futterhäuschen für die Vögel aufzufüllen.
Nein, ich werde nicht appellieren. Es kann und soll sich jeder selbst entscheiden, wie er dieser Spaltung in unserer Gesellschaft begegnet. Ich für meinen Teil halte mich fern von Menschen, die diese Pandemie negieren, ohne Atemschutz im Supermarkt herumlaufen, Party machen und auch sonst jegliche Empathie vermissen lassen. Und das Gleiche erwarte ich auch von diesen Menschen – haltet euch bitte fern von mir.
Zusammen Kochen und Essen war von jeher ein Grundpfeiler unseres Miteinander und dabei ist es völlig gleichgültig, wie viele dieses Miteinander zu jeglicher Gelegenheit umfasst. Wenn wir die Ansteckungsgefahr gering halten wollen, dann sind es eben nur fünf. Oder drei. Und wir haben Social Media – wir tauschen uns sowieso täglich virtuell aus, warum muss das an Weihnachten oder Silvester anders sein. Lasst uns Rezepte austauschen und teilen. Lasst uns über die Vorfreude auf ein wunderbares Abendessen sprechen. Lasst uns erzählen und zeigen, wie gut es uns geschmeckt hat und was es morgen gibt.
Die Pandemie verordnet uns Zeit zuhause, Zeit in der Küche, Zeit mit der unmittelbaren Familie. Wir haben alle Zeit der Welt, um alten, fast vergessenen Kochrezepten ein neues Leben einzuhauchen. Und dann wird das vielleicht auch was mit der Gyrossuppe, die dann durch einen Pot au feu oder ein Bœuf bourguignon ersetzt wird.
Diese Seite ist voll mit ungewöhnlichen Rezepten, meist aufwändig – und damit für die stade Zeit prädestiniert. Seht Euch um, stöbert in meinen Rezepten und ich bin sicher, dass Ihr etwas findet. Oder dass Euch die eine oder andere Story gefällt. Ich schreibe fast nie „blanke“ Rezepte – es sind immer recherchierte Hintergründe oder auch kleine Anekdoten dabei.
Und für alle, die es lieber etwas kürzer und schneller, aber trotzdem authentisch möchten: Es gibt noch eine weitere von mir geschriebene Rezeptseite: https://intelligenzanutrizionale.style (Link öffnet ein neues Fenster). Auch dort seid Ihr herzlichst Willkommen.
In diesem Sinne … ich wünsche Euch eine geruhsame Vorweihnachtszeit!
*Die „Suppenfotos“ haben mit Gyrossuppe ausschließlich das Wort „Suppe“ gemein – sie stammen aus meinem Rezept für Tripes a la mode de Caen
Fantastischer Beitrag!
Dir und Deiner Missus wünsche ich eine besinnliche Vorweihnachtszeit.
Bis Weihnachte werden sich unsere virtuellen Wege sowieso noch kreuzen.
BTW: Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Gyros- oder Pizzasuppe (bei letzterer denke ich automatisch an die Konsistenz einer „Pizza rückwärts“) gegessen.
Selbst gewürztes Pfannengyros oder -döner gibt’s allerdings bei uns öfter mal.
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Herzlichen Dank, liebe Britta. „Pizza rückwärts“ hatte ich schon mal (allerdings im Wortsinn ;-)) und daher auch mein subtiler Horror vor derlei Erfindungen.
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Darauf ein dezentes *börgs*
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Gyros gibt es hier auch hin und wieder, in Pita (selbstemacht) oder einzelne Secretos mariniert, einzeln angebraten, auf gespiesst und am Tisch runtergeschnitten. Da freut sich nicht nur der Sohn.
Und Deluxe. Geht hin und wieder. So hat heute der Extra Mature Cheddar den von uns geliebten Cathredal Vintage im Geschmack geschlagen, die getrockneten Steinpilze kann man knicken.
Geruhsame, besinnliche und genüssliche Tage Euch.
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Lieber Tommy, was für ein Mist, dass mir der WP-Reader diesen (tollen) Beitrag von dir erst jetzt angezeigt hat. Schön, wieder von dir zu lesen – ich wünsche dir ein frohes neues Jahr und nachträglich ebenso frohe Weihnachtstage! 😹
Mit der Spaltung der Gesellschaft hast du leider absolut Recht, was sich dieser Tage ja auch allerorts an „Spaziergängen“ und anderem Gedönse zeigt… 🐙
Ich verstehe das nicht, und vermutlich ist das sogar gut so. Genau wie du finde ich, dass kleine Runden mindestens ebenso schön sein können, wie eine proppenvolle Butze, und Hauptsache, man bleibt in Kontakt miteinander *UND AM LEBEN*, oder nicht? 🤔
Wie du vielleicht mitbekommen hast (= wenn nicht, ist es nicht schlimm), war ich noch bis vor drei Wochen einer dieser *tatsächlich unfreiwillig* Ungeimpften, und musste so unfassbar vorsichtig sein gesundheitlich, ach…
Umso wütender haben mich all diese Personen, die sich „auch besser von dir fernhalten sollen“ gemacht- Nun bekomme ich übermorgen endlich meine Zweitimpfung, und bin gottfroh drum. 🌞
Daher Danke für deine Worte: ich freu mich, dass du noch munter am Kochen bist!
Bitte pass auf dich auf, ja? VVN
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Ich danke Dir, lieber Valentin – hab mich sehr über Deinen Kommentar gefreut :-))) Meine Frau und ich haben kurz vor Weihnachten sogar noch den „Booster“ bekommen, was mir sehr recht war weil ich ein paar ungeplante Zahnarztbesuche hatte und die Zahnarztpraxis ist ja wohl eine Ansteckungsquelle allererster Ordnung 😦 Aber alles gut gegangen, nachträgliche Tests negativ und somit gut ins Neue Jahr gerutscht.
Ganz werden wir diese Virusgeschichte wohl nicht mehr los werden, aber hoffentlich bald so weit im Griff haben wie andere Krankheiten wie Grippe, Polio usw. – es kann ja nicht angehen, dass komplette Branchen innerhalb kürzester Zeit platt gemacht werde. Ich selbst hab da „gut lachen“, da ich außer auf den Golfplatz sowieso kaum nach draußen gehe … Restaurants? Pah – ich koch lieber selber! Party? Bin ich zu alt für ;-))) Pas Du schön auf Dich auf, lieber Valentin – ganz liebe Grüße, Tommy
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