Ich habe eine Essensstörung


Mein ganzes Leben lang habe ich Fleisch und Fisch und Geflügel gegessen, also Tiere. Tiere, die für die Ernährung von Menschen auf die Welt kamen. Einen anderen Zweck hatte ihr Leben nicht. Und dann wurden sie getötet, geschlachtet, gereift, zerteilt und in ansprechend benannte ‚cuts‘ zerteilt und abgepackt. Oder zu Wurst verarbeitet. Schon wie selbstverständlich entwickelte sich daraus eine Fleischindustrie, mit all den klassischen Elementen einer Industrie, allem voran die Profitmaximierung der Gesellschaften, die diese Industrie befeuern. Das führte zu immer schlechter schmeckendem Fleisch, Geflügel und Fisch. Und es wurde bemerkt. Dann kamen die Luxusfleischanbieter. Die ihre Tiere lieben. Artgerecht aufwachsen lassen. Und aus Profitgier genauso lügen, wie die Massenanbieter (Ausnahmen bestätigen auch hier, wie fast immer, die Regel). Was? Die auch? Ja, die auch! Dank der Kennzeichnungspflicht und des Internets lassen sich bei abgepacktem Fleisch Schlacht- und Zerlegebetrieb ziemlich einfach feststellen. Da geht auch bei den Luxusfleischanbietern dann die Schere zwischen schöner Werbung und trauriger Wirklichkeit gnadenlos auseinander. Oder wie kommt es wohl, dass sogar der ‚beste Metzger Deutschlands‘, der seine Waren mit ‚regional‘, ‚artgerecht‘, ‚Respekt vor dem Tier‘ etc. bewirbt, mit Fleisch vom umstrittenen Vion-Konzern (ein Fleischkonzern mit 7 Milliarden Euro Umsatzvolumen) handelt?

 

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Aus der Kennzeichnung geht deutlich hervor, dass dieses ‚Black Label Dry Aged Rib Eye/Entrecote‘ im Schlachtbetrieb DE BY 10504 geschlachtet wurde – das ist die Südfleisch GmbH, Waldkraiburg und die gehört zum Vion-Konzern. 4200 Rinder werden dort pro Woche geschlachtet. Der Zerlegebetrieb ist dann tatsächlich die Metzgerei Ludwig in Schlüchtern in Nordhessen (DE-HE-10321-EG). Dirk Ludwig kauft also seine Rinderhälften in einer riesigen Fleischfabrik, zerlegt und abgepackt wird in seiner Metzgerei in Schlüchtern. Von ‚regional‘ kann da keine Rede mehr sein und dass Herr Ludwig die Rinder höchstpersönlich ‚bei Züchtern aus der Region‘ aussucht, glaubt ihm nicht mal sein Friseur.

Auch die Massenanbieter lassen da nichts anbrennen. „Initiative Tierwohl“ – ein Label, welches sie sich gerne auf die Fahnen schreiben, ist das abscheulichste Beispiel dafür, weil es eigentlich überhaupt kein ‚Tierwohl‘ bedeutet. Leider nehmen offensichtlich mehr als 90% der Verbraucher dieses Siegel als Balsam für ihren Seelenfrieden an. Klingt ja auch gut „Initiative Tierwohl“. Jawohl! Aber von solcher Massenware bin ich schon lange ‚geheilt‘. Ess ich nicht mehr, brauch ich auch nicht mehr drüber schreiben.

Über die Luxusanbieter schreibe ich. Und mein Notizzettel wird kleiner und kleiner. Erst haben sie hehre Ziele und Motivation und dann schlägt der schnöde Mammon in seiner fiesesten Form von Profitgier zu. Dann wird zugekauft, aus den gleichen oder ähnlichen Quellen, wo auch Massenanbieter beziehen. Anfangen tun sie fast alle mit dem Respekt vor dem Tier, aber der wird weniger und weniger, spätestens dann, wenn die erste Einkommensteuernachzahlung in den Briefkasten flattert. Ist wie der Fuchs im Hühnerstall. „Waaas???“ „Sooo viel?“ Und dann wirds hektisch und Löcher müssen gestopft werden… und die guten Vorsätze sind der Zement zum Stopfen dieser Löcher.

Es wird immer schwieriger, als ‚Nicht-Selbstversorger‘ Tiere zu essen!

Ich mag kein „Pulled Pork“.  Ich mag überhaupt kein „pulled“ Zeugs. Konsistenz, Geruch und Geschmack erinnert mich unweigerlich an Döner. Und zu Döner habe ich ein gestörtes Verhältnis. Es gab eine Zeit, da hatte ich einen kleinen Betrieb mit 15 Mitarbeitern. Die holten sich mehrmals die Woche für die Mittagspause Döner. Der Gestank dieses unsäglichen Fast Foods, welches damals in Deutschland in der Beliebtheitsskala unangefochten Platz Eins inne hatte, überlagerte sogar den Grundgeruch meines (Druckerei)-Betriebs. Ich erließ ein Döner-Verbot. Kein Döner mehr über meine Schwelle, unter Androhung von Kündigung der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Arbeitnehmer wegen mutwilliger Geruchsbelästigung. Ich weiß, dass ich mir mit dieser Aussage unter den Grillern, Smokern und Pullern keine Freunde mache. Aber ich mag auch kein Bier.

Es gab auch bei mir eine Zeit, da habe ich alles, aber auch wirklich alles, außer warmem Leberkäs und Schwarzwälder Kirschtorte gegessen (diese beiden Lebensmittel waren wegen traumatischer Kindheitserlebnisse, sprich: exzessivem Post-Nahrungsaufnahme-Erbrechen, schon immer auf meiner No-Go-Liste). Aber zu jener Zeit trank ich auch Bier.

Heute esse ich immer noch alles, ganz besonders gerne auch unpopuläre Dinge, wie Innereien, oder auch Tiere, welche bei einem Großteil meiner Mitmenschen Schaudern hervorrufen würde. Schlangen, Kröten, sogar Schuppentier habe ich schon gegessen. Wobei ich das Schuppentier bereue. Gehört zu den vom Aussterben bedrohten Arten, was ich seinerzeit nicht wusste, als es mir serviert wurde. Nur „Fertigfutter“ esse ich nicht mehr und das betrifft in meinem Fall auch Restaurants. Das nächste Restaurant, wo  völlig ohne Convenience-Produkte und sogar fast ausschließlich aus eigener Zucht/eigenem Anbau gekocht wird ist knapp 70 km entfernt … „nichts um mal eben zum Essen zu gehen“. Alle anderen Restaurants hier in der Gegend kämpfen nicht nur mit Personalmangel – sie verwenden auch und immer mehr Fertigprodukte. Wenn man durch die Metro (wo Gastronomen zumeist einkaufen) schlendert, wird man von Fertigprodukten förmlich erschlagen. Allein schon „Vollei“ aus dem 5-Liter-Tetrapak  (natürlich aus „Bodenhaltung“) … was dann in dem umliegenden Hotels zum Frühstück als Rührei auf dem Frühstücksbuffet landet – grausig!

Der tägliche Lebensmitteleinkauf war für mich jahrelang etwas, worauf ich mich schon morgens beim Aufwachen freute. Über den Markt zu schlendern, die Auslagen betrachten, riechen, probieren, schmecken, sich mit den Verkäufern unterhalten. Auch das gibt es hier in der Umgebung nicht – mit einer Ausnahme: Von April bis Ende Oktober ist Aarons Gartenreich geöffnet. Saisonale Gemüse, Salate und Kräuter. Herrlich! Für Geflügel und Fleisch muss ich schon mindestens 100 Kilometer fahren … oder eben sehr selektiv online bestellen. Aber es werden mehr und mehr Anbieter, die ab Hof verkaufen, ihre Produkte selbst vermarkten. Und die gilt es zu unterstützen. Weg von immer schlechter werdender Massenware – hin zu mit Liebe und Leidenschaft hergestellten Nahrungsmitteln. So, wie es eben früher war. Man muss dafür Wege zurück legen. Man muss die Anbieter suchen. Aber es gibt sie! Und es geht, wenn man sich nur die Zeit dafür nimmt.

Mehr über Direktvermarktung und artgerechte Tierhaltung könnt Ihr auf dem Weidefunk lesen, sehen und hören. Der Link öffnet ein neues Fenster und führt Euch direkt dort hin.

 

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8 Kommentare

  1. Wie auch schon zum Beitrag über Hühnerinnereien, Hühnerfüße, etc. erwähnt: ich mag deine Philosophie und den Mut, die Dinge nicht zu beschönigen und klar beim Namen zu nennen! Als Ebenfalls-Fleisch-Esser und Mit-kein-Bier-Trinker. 😉

    Den Link schau ich mir auch gern an. Weidefunk.

    VVN

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    • Ich danke Dir! Manchmal muss es einfach raus. Mit diesem Beitrag ging ich schon lang schwanger und es gibt kaum etwas, was mich mehr ärgert als sog. Werbelügen. Aktuell noch die Hysterie ausgelöst durch einen Virus, die – ausgerechnet – zu Hamsterkäufen für Klopapier führt. Meine Fresse – da sieht man mal wieder, was der Bevölkerung als „wichtig“ erscheint. Ich zitiere eine Zeile aus Nick Cave’s „Little Empty Boat“:
      „Give to God what belongs to God
      And give the rest to me
      Tell our gracious host to fuck himself
      It’s time for us to leave“
      Zynisch? Ja! Sehr! :-)))

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      • Ah. Nick Cave! Geht immer. Nachdem ich vergangenen Oktober (endlich) „20.000 Days on Earth“ geschaut hab, geht mir „Push the Sky away“ nicht mehr aus dem Kopf- 🙂

        VVN

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  2. Man sollte die teilwiese todlich endete Headline hier weglassen, – oder doch – gerade deshalb! . Ich bin selbst auf einen Bauernhof groß geworden, welchen mein Bruder damals
    zum Ruin führte. Misswirtschaft!?
    Ich hab gesehen unter welchen Druck er stand. Ich weiß noch wie mein Vater rebellierte, als der Milchpreis sank….
    Wir haben noch geschlachtet ob Rinder, Schweine oder Hühner. Alles wurde verkocht! Was hab ich das geliebt!
    Heute bin ich wie obig, Essgestört, ja! War in einigen Therapien
    Warum? Keine Ahnung! Hat mit 12 Jahren schon angefangen.
    Ich gehe heute aber damit „gesund“ um,,. schon mal ein Fortschritt nach meiner Darmkrebs-OP.
    Thommy mach weiter so!

    Gefällt 2 Personen

    • Ergänzung; es war damals gar nicht möglich unsere Kühe, Schweine oder Hühner oder Reh, Fasan und Hirsch, Hase (Mein Vater war Förster und Jäger) im Discounter zu vermarkten,
      Diese gab es nur bei uns bekannten Metzger.
      Damals war diese Vermarktung günstiger, heute ist es umgekehrt.
      Vernichtet aber die Landwirtschaft und damit die gesamte Nahrungskette.

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  3. Herzlichen dank für Deinen Input, liebe Meccy!
    „Schöne Neue Welt“ (nach Aldous Huxley) 😉

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  4. Der Artikel ist schön und trifft gut. Oder ist es doch eher ein Essay? – Einzige Kritik: Die Überschrift passt (für mich) nicht dazu, davon berichtest Du gar nicht, ist mein Gefühl. Ansonsten volle Zustimmung zu diesem Beitrag oder kürzer: „Die Lebensmittelindustrie ist sowas von durch und durch verlogen“, mir wird immer speiübler, wenn ich nur anfange nachzudenken. Bzw. Max Liebermann (1933), aber in anderem Zusammenhang: Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte.

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