Der unbequeme Patient | die neue Hüfte


Es ist der neunte Tag in meinem Mikrokosmos von Patientenzimmer 2.38  Station E im EndoProthetikZentrum der Uniklinik Rostock. Tag 8 mit meiner neuen linken Hüfte.

Es geht mir gut…hmmm…auf jeden Fall nicht schlechter als vor der neuen Hüfte. Ich bin sicherlich in guten Händen. Ich bin auch ein kooperativer Patient. Wenn ich als Patient ernst genommen werde. Wenn nicht, werde ich unbequem. Und ziemlich ungemütlich.

In den kurzen Gesprächen mit meinen ‚guten Geistern‘ von der Station, von der Physiotherapie und vom Verpflegungsservice erfahre und lerne ich täglich Neues, obwohl dies nicht mein erster Klinkaufenthalt ist (wenn ich mich korrekt erinnere, ist dies meine achte lifetime-OP). Am meisten schockiert bin ich vom Opferlammverhalten der meisten OP-Patienten. ‚Die kommen hier rein und wollen fremdgesteuert sein‘ wird mir gesagt. So entsteht auch das zumeist unpersönliche ‚Business as usual Verhalten‘ des Pflegeteams. Der Patient will fremdgesteuert sein? Will gar nicht wissen, was genau bei der OP gemacht wurde? ist nicht interessiert, welche Medikamente er bekommt und wofür diese? Versucht brav seine Turnübungen zu machen, zu welchen der Physio ihm täglich für 15 Minuten Anleitungen gibt, aber hat keine Ahnung welchen motorischen Zweck diese Übungen haben?

Wer soll es dem Klinikpersonal verdenken, wenn die gleichgültig und manchmal auch etwas ruppig werden? Wenn da ein Hüft-oder Knie-Operierter nach der Schwester klingelt und sie dann fragt, warum denn sein Frühstücksbrötchen nicht aufgeschnitten sei? Hallo? Hände und Arme sind nicht operiert! Schneid dein armseliges Brötchen gefälligst selbst auf! Aber…aber…gestern, die andere Schwester hat es mir aufgeschnitten… Hallelujah!!

Nein, ich kann es dem Personal nicht verdenken, wenn sie den Patienten mit einer gewissen Gleichgültigkeit begegnen.

Da kommt der maskierte Koch und will plötzlich alles ganz genau wissen. Wie heißt dieses Medikament, wofür ist es? Weshalb soll ich diese Bewegung vermeiden, warum soll ich diese Bewegung so machen? Welches Ziel hat diese Übung? ich kann diese Übung nicht so ausführen, wie sie es von mir gerne hätten, denn meine Knie sind noch mehr kaputt, als die Hüfte vor der OP war. Wenn ich das Ziel kenne, können wir gemeinsam eine Alternative erarbeiten? Hmmm…das sind sie nicht gewohnt und reagieren zunächst mal reserviert, abwehrend, angstbissig. Ich sage ihnen, dass ich es gewohnt bin, Anweisungen zu geben und nicht Anweisungen entgegen zu nehmen. Ich sage ihnen, dass man bei mir um einen Termin bittet, nicht umgekehrt – geschweige denn unangemeldet herein schneit und von mir von einer Sekunde auf die andere vollste Aufmerksamkeit erwartet. Und ich sage ihnen, wenn sie mal so richtig ranzig sind, sie möchten doch bitte mal kurz nachdenken, wer ihr Gehalt bezahlt. Und wer bezahlt, schafft an. Nicht umgekehrt. Das muss man manchmal auch den unerfahreneren Ärzten klar machen. Die sind oft auch schon abgestumpft, weil sie sich tagtäglich mit Patienten abgeben müssen, die sich benehmen wie die Lämmer wenn’s zur Schlachtbank geht. Man hats nicht leicht, als interessierter, ambitionierter (schnell wieder gesund werden wollender), kommunikativer Patient.

Wenn der Chefarzt kommt, ist es ein wenig anders. Dem seine Zeit ist genauso teuer, wie meine. Dem begegne ich auf Augenhöhe (und er mir auch), auch wenn er so Zeug mit mir anstellt:

 

Der weiß allerdings auch, dass er noch viel mehr davon mit mir anstellen muss, denn akut brauchen noch beide Knie eine komplette Ersatzteilversorgung (auch TKP genannt) und mir wurde gesagt, dass ich mit meiner rechten Hüfte in ihrer derzeitigen Form garantiert nicht das Zeitliche segnen werde. Wir sind also quasi Geschäftspartner. Er ist meiner, weil er mir ein besseres und schmerzfreies Leben geben will und kann und mir damit wieder Freude und Spaß an meiner Arbeit ermöglicht und ich Geld verdienen kann. Ich bin seiner, weil er mit solchen Operationen sein Geld verdient und weil ich für ihn ein ’spannender‘ Patient bin, eine gewisse Herausforderung, denn wer braucht schon 3 (oder 4) neue Gelenke auf einmal? Anmerkung am Rande: Er wird mir auch zu neuer ‚Größe‘ verhelfen, denn jedes neue Gelenk bringt so etwa einen Zentimeter an Körperlänge. Dann bin ich endlich so groß wie meine Missus 😉

Doch das mit der Augenhöhe klappt auch mit Krankenschwestern, Physios, Pflegehilfskräften, Putzhilfen – wenn die nur wollen. Kommunikationsbereit sind. Braucht manchmal einen mehr oder minder charmanten Anstoß, aber dann geht es plötzlich. Bei den meisten zumindest. Dann wird der unbequeme Patient zu einem äusserst kooperativen Patienten, die missgelaunte Pflegerin, Krankenschwester oder Physio zur Heilungsprozessverbündeten und ich darf auch mal meine mail grade noch fertig schreiben, wenn man ungelegen kommt.

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Da bleibe ich sogar gelassen, wenn es mal so richtig dick kommt.

Montag früh, tägliche Blutabnahme. Es klopft, ein junger Mann tritt ein und sagt, dass er zur Blutentnahme kommt. Ich habe ihn noch nie gesehen, Namensschildchen hat er auch keines, aber was solls. Jeder soll seine Chance haben. Er bereitet seine Kanüle, Spritzen, Klemmband, Tupfer und Desinfektionsspray vor, zieht seine Latexhandschuhe an und ich plaudere lässig mit ihm…helfe ihm, indem ich meine Vene in der linken Armbeuge zum hervortreten animiere und bitte ihn, sauber und schnell zu stechen.

Oh je – ich sehe, dass seine Hände zittern und seine Stirn glänzt. Ich rede ihm gut zu „zack, rein mit dem Ding – bloß nicht vorsichtig“ und genau das Gegenteil tritt ein. Er zittert mir die Kanüle in die Vene…gaaaanz langsam. Ich jaule kurz auf, aber dann hat er es geschafft. Er zieht mit zitternden Händen die ersten beiden Kubikzentimeter in den Kolben, klemmt ihn ab, setzt einen neuen an, jetzt zittert der Bub noch mehr…er zieht an….nix kommt….er schiebt die Nadel weiter rein…zieht wieder an….nichts. Jetzt klappert er, wie ein kleiner Junge, der sich im Schwimmbad unterkühlt hat…und schiebt die Nadel noch weiter (ins Gewebe) rein. „Sie sind jetzt aber schon mehr als durch – gleich kommen sie am Ellenbogen wieder raus.“ Er muss ein wenig grinsen: „Nein, nein…“ – aber er zittert immer noch heftig. Da mache ich dem ein Ende. „Nehmen sie die Nadel raus – so wird das nichts.“

Er ist merklich erleichtert, entfernt das corpus delicti und ich frage ihn: „Und jetzt?“ „Ich muss Blut abnehmen, noch 2 Spritzen.“ Ich: „Okay, eine Chance kriegen sie noch. Aber diesmal schnell und flüssig stechen, bitte.“ Er versucht es an der kleineren Vene in der selben Armbeuge, zögert und zittert mir das Ding einmal quer durchs Gefäß… „Lassen sie’s – nehmen sie die Nadel raus, das wird so nichts mit uns.“ Ich lächle immer noch, wenn auch etwas gequält. Er zieht die Nadel, packt hektisch seine Siebensachen  zusammen und ich gebe ihm ein „Machen sie sich nichts draus – mit ein wenig Übung wird das schon!“ mit auf den Weg. Die Krankenschwester, die beim zweiten Versuch das Zimmer betreten hatte, rollt die Augen und seufzt. Sie hatte den jungen Mann auch noch nie gesehen…

Es stellte sich heraus, dass er ein Medizinstudent ist, der seinen ersten Tag des praktischen Teils in der Klinik hatte und bei mir zum allerersten mal ‚live‘ Blut entnehmen sollte. Na prima – ich war also ein Übungsobjekt. „Tell me why?“                         „I don’t like Monda-hays…“

Mein Bein schwoll 6 Tage nach der Operation zu etwas doppeltem Umfang an. Wie ein Elefantenbein.

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Ooopps! Falsches Foto 🙂

 

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Die Haut an meinem Unterschenkel und Fuß spannte, dass sie schon Risse bekam. Ein kurzfristig anberaumte Lymphdrainage brachte Linderung, aber der Chefarzt wollte trotzdem die Möglichkeit einer auch nur minimalen Thrombose ausschließen, weil der Zeitplan für die beiden Knie-Operationen sonst möglicherweise aus dem Fenster fliegen hätte können. 2 Nächte mit fest gewickelten Beinen (macht echt Spaß, in solch einem engen ‚Schlafanzug‘ zu schlafen), und eine Doppler-Sonografie in der 3 Kilometer entfernten Inneren Abteilung der Uniklinik später und der Ausschluss einer Thrombose war bestätigt.

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Kurz vor der ‚Verbringung‘ zur Inneren Abteilung musste ich meinen Mikrokosmos, meine lieb gewonnene 2.38 nebst der schönen Aussicht auf die Ostsee räumen. Es ist, als hätten sich alle schwer Hüft- und Kniekranken Mecklenburgs verabredet, heute die Orthopädie der Uniklinik Rostock zu stürmen – man kämpft hier um jeden Quadratmeter, um noch ein Bett unterzubringen. Jetzt schaue ich auf die Hauptstraße und die gegenüber liegende Brauerei…dabei mag ich gar kein Bier 😦

Einen Exkurs über das Klinikessen verkneife ich mir (für diesmal) – ich bin ja nicht im Urlaub hier. Leider sind auch die Rostocker Food-Etablissements mit Lieferdiensten nicht unbedingt zu Höchstform aufgelaufen. Besser als das Klinikessen allemal, aber da besteht noch Verbesserungsbedarf.

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Spätestens am Wochenende geht es nach hause, die Hämatome müssen noch etwas abbauen und ich fange schon an, Muskulatur wieder aufzubauen. Die vergangen 3 Monate ohne Golf, herumschlurfend wie ein Greis, haben mich ziemlich geschwächt hinterlassen. Wunder sind mit den maroden Knien nicht zu erwarten, aber ich denke doch, dass ich fit genug werde, um die nächsten beiden ‚Tauschaktionen‘ gut zu überstehen. Dann sehen wir weiter…

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Ich denke, ich werde eine neue Rubrik ‚Handicapped Cooking‘ einrichten müssen. Mit Krücken in den Händen ist Kochen schwierig, aber noch schwieriger ist es, aufs Hantieren mit dem Messer zu verzichten. Nach jeder Operation gibt es wochenlang Blutverdünner als Medikation, um Thrombosen vorzubeugen – einmal Abrutschen…und ab in die Notaufnahme 😉 Ich bin selbst gespannt, was mir dazu einfallen wird… stay tuned!

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10 Kommentare

  1. du hast das echt nicht leicht ;-). gute besserung

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    • Nur die harten…mein Lieber 😉 …nee, Quark – was muss, das muss. Hat keinen Sinn, das noch länger rauszuzögern – je älter und schwächer ich werde, desto härter wird’s. Danke Dir!

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  2. Oh das kommt mir bekannt vor. Jede KFZ Reparatur wird besser erklärt. Ich frag auch immer nach ( zum Glück bis jetzt nur Zahnarzt) und sie sind immer irritiert. Ist aber auch schwer für Ärzte. Mit freundlichen Grüßen Dr. hc. Med. Google

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  3. Hm, also Du hast mit vielen Dingen, die Du da aufschreibst sicherlich Recht. Aber mit diesem Satz: Wenn der Chefarzt kommt, ist es ein wenig anders. Dem seine Zeit ist genauso teuer, wie meine. Dem begegne ich auf Augenhöhe (und er mir auch), auch wenn er so Zeug mit mir anstellt schießt Du Dich bei menschlich leider ein wenig ins Aus. (Und ich bedauere das sehr.)

    Wenn Du der Meinung bist, Du müsstest anderen Patienten, dem Pflegepersonal, den anderen Ärzten – aus welchen überheblichen Gründen auch immer – nicht auf Augenhöhe begegnen – dann tust Du mir eigentlich nur leid. Und verdienst Dir womöglich jede Deinem Anspruch nach nicht so bonfortinöse Behandlung selbst.

    Olles buddhistisches Prinzip: Ursache und Wirkung. Denke doch einmal darüber nach! 😉

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    • Nee, das hast Du völlig falsch verstanden – es ging/geht mir um die ‚Erstbegegnung‘ und da ist das ‚übrige‘ Personal (einschl. der meisten Assistenzärzte) eben zunächst von sich aus nicht auf Augenhöhe, sondern behandelt den Patienten per se erst mal als notwendiges Übel, welches ihr Job mit sich bringt. Da ist jede Menge initiale Überheblichkeit von deren Seite und nicht umgekehrt. Dagegen wehre ich mich, zurecht, wie ich meine! Ich habe als Patient ein Recht, mindestens, und ich betone mindestens, dass mir das Klinikpersonal auf Augenhöhe begegnet und ich das nicht erst einfordern muss. Wenn Du den Post nicht nur diagonal liest, solltest Du darauf stossen, dass genau das, was Du mir in Deinem Kommentar absprichst eigentlich für die andere Seite gilt: Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es wieder heraus – die bayerische Version des ollen buddhistischen Prinzips – ich komme als Patient hier an und nur der Chefarzt begegnet mir auf Augenhöhe, warum ist das so? Weil der mich kennt! Weil er einer der Ärzte ist, die ihren Beruf mit Leib und Seele leben und er sich die Krankenakte seiner Patienten sehr genau ansieht, bevor er ihnen gegenübertritt. Und weil er mich bereits vor 3 Jahren operiert und behandelt hat. Das andere Klinikpersonal kannte mich nicht und ich musste die ‚Augenhöhe‘ einfordern. Jetzt ist sie, bei den meisten zumindest, da und wir verstehen uns blendend. Ich habe überhaupt kein Problem damit, mich auch mit dem Putzmann, der als Flüchtling hier einen Job gefunden hat auf Augenhöhe zu unterhalten, aber es ist meist das Fachpersonal, dem man da erst auf die Sprünge helfen muss. Du bist ja offensichtlich vom Fach und mit Deinem einseitigen Kommentar hier qualifizierst Du Dich als jemand von denen, für die jeder Patient zunächst eine Zimmer- und Bettnummer ist. Du hättest mit mir als Patient sicher keine Freude, wenn Du mir mit dieser Einstellung begegnen würdest.

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  4. Ich hab auch die Erfahrung gemacht, dass man ganz anders behandelt wird, wenn man selbst Initiative und Interesse zeigt, sich Sachverhalte erklären lässt. Weil Wissen schafft Verständnis 😊 (auf beiden Seiten…)

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  5. An den ausführlichen Beschreibungen Deines Klinkaufenthalttagesablaufs (im deutschen ist das Wort möglich) sehe ich, dass Du jetzt viel Zeit hast um über vieles nachzudenken. In Deiner Einschätzung wie das so ist mit Ärzten und Hlifspersonal gebe ich Dir zum größten Teil recht. So ist es halt. Und ich glaube auch, dass man am besten mit Menschen zurecht kommt, wenn man freundlich und neugierig auf sie zugeht. Leider ist bei vielen des medizinischen Personals noch nicht angekommen, dass die „sprechende Medizin“ für alle das beste ist. Dann muss man sie mal anschubsen. Gute Besserung und behalte die Übersicht. LG hartmut

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